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Bürgerliche Sozialstrukturanalyse
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== Welche Positionen / Thesen gibt es? Und wer vertritt sie? == '''1. Schichten''' Die soziologische Kategorie "Schicht" dient der Beschreibung gesellschaftlicher Makrostrukturen. In Ablehnung der Marxschen Klassentheorie wird sie bewusst als "entideologisierte" Kategorie dem Klassenbegriff vorgezogen. Als "Schicht" wird eine Bevölkerungsgruppe begriffen, die sich in einer hierarchischen Sozialstruktur von anderen Bevölkerungsgruppen bzgl. des gewählten Untersuchungsmerkmals unterscheidet. Schicht-Theorien führen die gesellschaftliche Stellung der Merkmalsträger auf den Grad der Ausprägung der klassifikatorisch grundgelegten Merkmale zurück. Das Erkenntnisinteresse von Schichtkonzepten liegt in der Beschreibung von Sozialstruktur und sozialem Wandel sowie dem Vergleich von Gesellschaften durch Typologisierung und Kategorisierung entlang bestimmter Merkmale. Schichtanalysen und auf ihnen fußende Modelle gründen auf der Untersuchung von Distributions- und Konsumtionsmerkmalen wie Einkommen, Besitz, Bildung oder Prestige. Die Merkmale, aufgrund derer die Beschreibung gesellschaftlicher Schichtung vorgenommen wird, sind relativ gleichberechtigt und werden in Abhängigkeit vom Erkenntnisinteresse ausgewählt. Bekannte Schicht-Konzepte gehen auf Theodor Geiger (1932), Helmut Schelsky (1953), Ralf Dahrendorf (1965) und Karl Martin Bolte (1967) zurück. '''2. Soziale Lagen''' Modelle sozialer Lagen haben zum Ziel, alle für erwachsene Mitglieder einer Gesellschaft relevanten Faktoren sozialer Ungleichheit einzubeziehen. Charakteristika von Lagemodellen sind der Anspruch nicht-additiver Mehrdimensionalität, die Untersuchung objektiver Lebensbedingungen (und nicht deren Wahrnehmung und darauf aufbauende Handlungsmuster und -routinen) sowie die weitgehende Abkehr von vertikal strukturierten Gesellschaftsmodellen bzw. ihrer Ergänzung durch "horizontale" Ungleichheitsdimensionen wie Wohnort, Alter, Geschlecht oder race. Das Erkenntnisinteresse von Soziallagenmodellen ist die Beschreibung des Zusammenwirkens verschiedener Ungleichheitsdimensionen und deren Relevanz für die Konstituierung verschiedener sozialer Lagen. Soziallagen-Modelle beanspruchen durch den Einbezug vielfältiger Dimensionen sozialer Ungleichheit und ihrer Verschränkung objektive Lebensbedingungen differenziert beschreiben zu können. Vertreter neuerer Soziallagen-Modelle sind Stefan Hradil (z.B. 1987) und in der Anwendung des von ihm entwickelten Modells Schwenk (1999). '''3. Milieus und Lebensstile''' '''3.1. Gemeinsamkeiten von Milieu- und Lebensstilkonzepten''' Milieu- und Lebensstilkonzepte sind in Kritik an Klassen- und Schichtmodellen entstanden und arbeiten mit subjektiven, kulturellen Faktoren, durch deren Betrachtung sie eine bessere Klassifikation gesellschaftlicher Heterogenität auf der Ebene des Alltäglichen, des Verhaltens leisten wollen. Einerseits sei das Verhalten von Individuen nicht durch ihre Schicht- oder Klassenzugehörigkeit zu erklären, andererseits hätten alle Menschen gesellschaftlichen Aufstieg erfahren, weshalb auch die Konsumchancen aller sich diversifiziert hätten und somit von der Klassen- bzw. Schichtzugehörigkeit heute weitestgehend entkoppelt seien, was im Vorhandensein diverser Milieus und Lebensstile innerhalb der Gesellschaft deutlich würde. Lebensstil- und Milieuanalysen modellieren soziale Ungleichheit ausgehend von subjektiven Faktoren der kulturellen Ausgestaltung des Lebens auf der Handlungsebene. Wenn überhaupt, dann erst in einem zweiten Schritt, werden horizontale Strukturierungsmerkmale in die Analysen einbezogen. Es existiert eine Vielzahl von Milieu- und Lebensstilbegriffen, die allerdings weitestgehend unscharf bestimmt sind, weshalb sich die Konzepte schwer voneinander abgrenzen lassen. Nach Stefan Hradil (2001) sind Lebensstile "die Prinzipien, Ziele und Routinen, nach denen die Einzelnen ihr Leben relativ beständig ausrichten", wohingegen Milieus „Gruppen Gleichgesinnter, die gemeinsame Werthaltungen und Mentalitäten aufweisen und auch die Art gemeinsam haben, ihre Beziehungen zu Menschen einzurichten und ihre Umwelt in ähnlicher Weise zu sehen und zu gestalten“ sind <ref> Hradil, S. (1999), S.41. </ref>. Lebensstilkonzepte haben mit Milieukonzepten gemeinsam, dass sie sich als Alternativen bzw. Ergänzungen zu vertikalen Strukturkategorien wie Schicht und Klasse verstehen. Sie beanspruchen komplexe Zusammenhänge zwischen subjektiver Wahrnehmung und objektiver Situation darzustellen und durch mehrdimensionale Betrachtungen eine größtmögliche Annäherung an die Beschreibung gesellschaftlicher Realität zu schaffen. Eine völlige Loslösung von vertikalen Kategorien der Schichtungsforschung gibt es selten, vielmehr wollen sowohl Lebensstil- als auch Milieukonzepte der deskriptive Kitt zwischen Struktur- und Handlungsebene sein. Milieu- und Lebensstilkonzeptionen sind miteinander kompatibel. Mit der Konzentration auf routiniertes Verhalten, routinierten Geschmack und Expression sind Lebenstilkonzepte oberflächlicher als Milieukonzepte, welche sich auf milieu-abhängige Wahrnehmung und die Nutzung objektiv vorhandener Lebensbedingungen konzentrieren. Mit der Orientierung auf objektiv vorhandene Bedingungen sind Milieu-Konzepte näher an Schichtungsforschungen als die maßgeblich subjektiv orientieren Lebensstil-Konzeptionen. Damit sind Mileukonzepte näher an Schichtungsforschungen. Diese sind ihre subjektorientierte Ergänzung, wobei die sozioökonomische Situation als Filter für die Wahrnehmung der eigenen Situation diene. '''3.2. Lebensstile''' Der Minimalkonsens von Lebensstil-Konzepten besteht in der Annahme, dass Lebensstile für Gruppen und Individuen identitätsstiftend seien, Distinktions- und Inklusionfunktion hätten, sich im sozialen Bereich und dort vor allem im Freizeit- und Konsumverhalten ausmachen ließen, welches zu unterschiedlichen Ausdrucksformen führe. Es existieren eher soziologische Lebensstilmodelle, die den Fokus auf die Untersuchung der Gesellschaftsstruktur legen und in denen vertikale Ungleichheitsmerkmale der Schichtungsforschung durch horizontale Ungleichheitsmerkmale ergänzt werden. Die bedeutendste Arbeit dieser Richtung stammt von Pierre Bourdieu (1997, zuerst 1979), in dessen Theorie der Lebensstil die Äußerung bestimmter kultureller Praktiken ist, die sich - durch die Klassenlage determiniert - aus dem Klassenhabitus als klassentypische Verhaltensdisposition ergeben. Für Deutschland sind die Arbeiten von H.-P. Müller (1992) und Zapf et al. (1987) zu nennen. Darüber hinaus gibt es kulturalistische, eher kulturwissenschaftliche, Lebensstilmodelle, die als Alternative zur Untersuchung vertikaler Ungleichheitsstrukturen entwickelt wurden. Soziale Gruppen werden nicht mehr durch strukturelle Kriterien bestimmt, sondern durch den Lebensstil selbst, der ursächlich für die soziale Lage stehe und sie reproduziere. Beispielsweise wollen Karl H. Hörning et al. in Abgrenzung von anderen Lebensstil-Konzeptionen den "Lebensstil […] nicht als abhängige Variable struktureller Bedingungen [...] verstehen. Diese finden vielmehr erst im Lebensstil ihre je unterschiedlichen Ausformulierungen." <ref> Hörning, K. et al.(1996), S.34 f. </ref>. Die Lebensstilforschung ist seit 1990er Jahren abgeebbt. Aktuellere Arbeiten operieren in der Regel nicht allein mit Lebensstilkonzepten, sondern pflegen diese in Lage-Untersuchungen ein, wie z.B. Rössel (2005), der eine "plurale Sozialstrukturanalyse" einfordert, die die Begriffe Lebensstil, Milieu und Klasse gleichberechtigt einbeziehen müsse. '''3.3. Milieus ''' Besonders bekannte Milieu-Untersuchungen sind die Untersuchungen des Sinus-Instituts, die Marktforschungszwecken dienen und Menschen mit ähnlichen Lebensweisen und -einstellungen zu sozialen Milieus gruppieren, welche gesellschaftlichen Subkulturen entsprechen. Milieus liegen hier innerhalb einer Schicht nebeneinander, sie unterscheiden sich durch ihre Wertorientierungen. Die Sinus-Milieus sind eine Ergänzung vertikaler Schicht-Modelle durch die horizontale Milieu-Struktur. Für Sozialstrukturanalyse in Deutschland vor allem Arbeiten um Michael Vester (1993, 2001) relevant. Vester et al. orientieren ihren Milieu-Begriff an dem Pierre Bourdieus: Milieus seien habituell und alltagskulturell ähnliche Gruppen <ref> Vester et al. (2001), S. 24. </ref>. Auf diese Milieus wirke die vertikale Schichtung der Gesellschaft gemessen in Wohlstand, Einfluss, Macht und sozialen Chancen ein. Horizontal unterscheiden sich die Milieus durch ihre Einstellung zu Autorität, welche sich trotz Ausdifferenzierung und Modernisierung der Milieus historisch fortgeschrieben habe. '''4. Fazit''' Bei allen beschriebenen Ansätzen steht die Beschreibung der Pluralität der Gesellschaftsstruktur im Vordergrund, nicht ihre ursächliche Erklärung oder das Hinterfragen der Legitimität gesellschaftlicher Ungleichheit. Sie alle sind um das gesellschaftsstrukturierende soziale Verhältnis der Klassen verkürzt, weshalb es bei Begründungsversuchen zu Zirkelschlüssen kommt: In der Schichtungsforschung wird beispielsweise die Einkommenshöhe durch die gesellschaftliche Relevanz des Berufes, die gesellschaftliche Relevanz des Berufes wiederum durch die Einkommenshöhe bestimmt. Unterschiedliche Lebensstile werden u.a. durch bestimmte Konsumvorlieben oder bestimmte Werte bestimmt, Konsummuster oder Wertorientierung wiederum mit dem Lebensstil erklärt. Durch solche Zirkelschlüsse werden ursächliche Erklärungen für die gesellschaftliche Stellung verunmöglicht. Durch die Konzentration auf die empirische Untersuchung werden besonders bei Lebensstil- und Milieuuntersuchungen empirisch beobachtete Erscheinungen zur Ursache erhoben. Durch ihren deskriptiven Charakter ermöglichen die vorgestellten Ansätze keine auf grundlegende Veränderung sozialer Ungleichheit gerichtete Perspektive: Es lassen sich im Rahmen der Schicht-, Lagen-, Milieu- und Lebensstilforschung weder Abhängigkeits- und Herrschaftsverhältnisse, noch Antagonismen zwischen sozialen Gruppen identifizieren. Den Konzepten, die mit dem Anspruch, die vertikale Schichtungsforschung durch horizontale Ungleichheitsdimensionen zu erweitern entwickelt wurden, ist vorzuwerfen, dass sie ihre Kategorien einerseits willkürlich wählen bzw. um unzählige weitere Ungleichheitsdimensionen erweitert werden könnten. Andererseits ist zu kritisieren, dass das Zusammenwirken von vertikalen und horizontalen Ungleichheitsdimensionen vom Klassenverhältnis untrennbar ist, das heißt, dass sie in einer Klassengesellschaft durch die Klassenlagen strukturiert und nicht neben ihnen existent sind. Auch Fragen nach Wertorientierungen, Konsumverhalten oder Geschmack, welchen sich Lebensstil- und Milieu-Untersuchungen widmen, sind nicht losgelöst von der Stellung im gesellschaftlichen Produktionsprozess zu erklären, sondern im Zusammenhang mit ihm, da auch sie wesentlich durch das Klassenverhältnis strukturiert sind.
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