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Dissens Dialektik
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== Die verschiedenen AnsĂ€tze in der Dialektik-Frage == === Engels und Lenin versus Marx? === An der Frage, ob sich das DialektikverstĂ€ndnis von Engels und auch von Lenin von Marxâ Dialektikvorstellung unterscheiden, entzĂŒndete sich eine Kontroverse innerhalb der Kommunistischen Bewegung und der an Marx orientierten Akademie. Hierzu gehören vor allem die neo-marxistischen Autoren beginnend mit G. Lukasc, K. Korsch und auf ihren Gedanken aufbauend, die so genannte Kritische Theorie und auch die Neue Marx-LektĂŒre. Es soll hiermit keine unmittelbare gegenseitige Beeinflussung dieser Denker und gradlinige Entwicklung ihrer Positionen unterstellt werden. Die Untersuchung und Einordnung der historischen Genese der unterschiedlichen Auffassungen von Dialektik sehen wir als Aufgabe des KlĂ€rungsprozesses an, die aber zunĂ€chst auf eine Sammlung und Sichtung der schon geleisteten Analysen â z.B. durch die DDR-Akademie â hinauslĂ€uft. Eine sich auf alle drei Klassiker Marx, Engels, Lenin stĂŒtzende Anschauung hat sich ausgehend von den Schriften Lenins und Stalins, in der Haltung der Kommunistischen Internationale sowie der entsprechenden Akademien in der Sowjetunion herausgebildet und wurde auch zur Grundlage fĂŒr die philosophischen Akademien in der DDR. Marx, Engels und Lenin wurden hier in ihren wissenschaftstheoretischen AnsĂ€tzen im Allgemeinen, aber auch in ihren konkreten Aussagen zu Dialektik, der Erkenntnistheorie, als eine Einheit betrachtet. FĂŒr uns folgt hieraus also, dass wir uns mit diesem nun lange im Raum stehenden und bis heute fortgesetzten Vorwurf, Engels und Lenin hĂ€tten Marx nicht verstanden, richtig dargestellt und/oder stĂŒnden somit im Gegensatz zum DialektikverstĂ€ndnis von Karl Marx, werden beschĂ€ftigen mĂŒssen. Hauptinhalt dieser Kritik an Engels ist, dass die Dialektik entweder nicht oder nicht mit den gleichen Begriffen auf die Natur genauso wie auf die menschliche Gesellschaft und die Erkenntnis angewendet werden kann. Zu nennen wĂ€ren hier Georg Lukacs, Karl Korsch, die spĂ€tere Frankfurter Schule und der vom Neomarxismus geprĂ€gte französische Existentialismus, vertreten durch Sartre und Camus. Schon frĂŒh wurde durch die sowjetische Philosophie, z.B. durch Abram Deborin, diese Sichtweise kritisiert. Heute wĂ€re beispielhaft der zeitgenössische Autor Ingo Elbe zu nennen, der am DialektikverstĂ€ndnis von Engels die âfalsche Analogisierung historisch-gesellschaftlicher Prozesse mit NaturphĂ€nomenenâ <ref> Elbe, Ingo (Vortrag an der Ruhr UniversitĂ€t): Zwischen Marx, Marxismus und Marxismen, 2009, S.2. (http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Lesarten_erweitert.pdf) (Erschienen in Hintergrund Nr.3/2009) </ref> kritisiert und ihm eine âontologisch-deterministische Tendenzâ attestiert. Karl Korsch warf vor allem Lenin vor, die Dialektik vulgarisiert und dem Partei-NĂŒtzlichkeitsprinzip unterworfen zu haben. Inhaltlich ging es ihm darum, dass die Entgegensetzung von Sein und Bewusstsein eine vordialektische Denkfigur sei, die man Lenin und spĂ€ter dem Marxismus-Leninismus zu verdanken hĂ€tte. <ref> Korsch, Karl: Marxismus und Philosophie, Leipzig in: Gerlach, Erich (Hrsg.), 1975, S.60. </ref> Er kritisiert auch die vom 6.Kongress der KI (Kommunistische Internationale) angenommene letzte Fassung des Programms, in dem die dialektische Philosophie auf eine ârevolutionĂ€re Methode (!) der Erkenntnis der Wirklichkeitâ reduziert wird. <ref> Ebd., S. 77. </ref> === Maos DialektikverstĂ€ndnis === Mao Tse-tung formulierte ĂŒber einen lĂ€ngeren Zeitraum (zirka DreiĂiger bis FĂŒnfziger des Zwanzigsten Jahrhunderts) in mehreren Schriften und VortrĂ€gen Thesen zum dialektischen Materialismus. In seinen Ăberlegungen legte er besonderes Gewicht auf die Auseinandersetzung mit dem âGesetz des Widerspruchsâ, das seiner Ansicht nach das âfundamentalste Gesetz der materialistischen Dialektikâ sei. Darauf aufbauend, formulierte er weitergehende Thesen, z.B. die Thesen zu Haupt- und NebenwidersprĂŒchen oder sein VerstĂ€ndnis vom Charakter von antagonistischen WidersprĂŒchen. Die Thesen von Mao Tse-tung waren keine rein wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung, sondern hatten politisch-praktischen Charakter. Aus den allgemeinen Formulierungen zu Fragen der Dialektik leiteten er und seine AnhĂ€nger bedeutende Schlussfolgerungen ab, z.B. in der BĂŒndnispolitik der KP-China, in der Frage des Parteiaufbaus und des Aufbaus des Sozialismus. Daraus ergeben sich bis heute viele Fragen bezĂŒglich der richtigen Anwendung des dialektischen Materialismus auf gesellschaftspolitischem Terrain. Nach dem Auseinanderfallen der KPdSU und der KP-China Ende der FĂŒnfziger Jahre, begann eine kritische Auseinandersetzung mit den Thesen Mao Tse-tungs in der sowjetischen Akademie. Eine Reihe von Untersuchungen der âMao Tse-Tung Ideenâ wurden vom Institut fĂŒr Philosophie und vom Institut fĂŒr den Fernen Osten der Akademie der Wissenschaften der Sowjetunion angestellt, die eine scharfe Kritik zum Ergebnis hatten. âDer Maoismus ist eine dem Marxismus fremde ideologische Strömung.â <ref> Kritik der theoretischen Auffassungen Mao Tse-tungs, Moskau 1970 / Berlin 1973, S.6. </ref> Die sowjetischen Akademiker stellten die Behauptung auf, dass Mao Tse-tung sich lediglich der Terminologie des wissenschaftlichen Sozialismus bedienen, tatsĂ€chlich aber in eklektizistischer und utilitaristischer Weise diese Begriffe zwecks Umsetzung und Legitimation bestimmter politischer Vorhaben einsetzen wĂŒrde. Nicht nur sowjetische, sondern auch westdeutsche Autoren setzten sich kritisch mit den âIdeenâ Mao Tse-tungs auseinander, darunter bespielsweise Gunnar Mathiessen <ref> Gunnar Mathiessen: Kritik der philosophischen Grundlagen und der gesellschaftspolitischen Entwicklung des Maoismus , Köln 1973. </ref> Er zeichnet nach, warum Mao Tse-tungs âWiderspruchsdenkenâ aus wissenschaftlicher Sicht fehlerhaft ist. Er stellt die Behauptung auf, dass in Mao Tse-tungs Denken eine Verwechslung von Widerspruch und Gegensatz stattfindet, dass das nur im abstrakten Denken von anderen Gesetzen der Dialektik loszulösende Gesetz der Einheit und Gegensatz der WidersprĂŒche von Mao Tse-tung von der dialektischen Gesamtentwicklung abgetrennt wird. Interessanterweise hat sich auch der bekannte Philosoph Hans Heinz Holz, der spĂ€ter langjĂ€hriges Mitglied der DKP wurde, mit einer Schrift aus dem Jahre 1970, fĂŒr die Ideen Mao Tse-tungs stark gemacht. <ref> H.H.Holz, Widerspruch in China, Politisch-philosophische ErlĂ€uterungen zu Mao Tse-tung, MĂŒnchen 1970 </ref> Er stellt, nach einer lĂ€ngeren AusfĂŒhrung zu Mao Tse-tungs Thesen ĂŒber das Allgemeine und das Besondere fest: âAus dieser Sicht gewinnt die berĂŒhmte Lehre Maos von den Haupt- und NebenwidersprĂŒchen einen mehr als bloĂ pragmatischen Charakter; sie erweist sich als ein Glied im Aufbau eines streng logischen GefĂŒges von Kategorien.â<ref> Ebd. S.88 </ref> Die weitere Behandlung von [[Mao Tse-tungs DialektikverstĂ€ndnis]] und eine intensivere Auseinandersetzung mit seinen Kritikern ist Bestandteil des KlĂ€rungsprozesses. === ZurĂŒck zu Hegel === Die Neue Marx-LektĂŒre entstand in den Sechziger Jahren. Hauptvertreter dieses Ansatzes sind Helmut Reichelt und Hans-Georg Backhaus. Sie setzten sich hauptsĂ€chlich mit dem âKapitalâ von Karl Marx auseinander. Ihr Augenmerk lag dabei auf der Frage, welche Methode Karl Marx bei der Darstellung der Wertform angewandt habe. Sie wendeten sich gegen die, aus der Sowjetunion kommende marxistisch-leninistische, also historisch-materialistische Lesart des Werkes. In Anlehnung an Hegels Dialektik versuchten sie das Kapital âneuâ â ihrer Ansicht nach kritisch â zu lesen. Ăhnlich wie die Neue Marx-LektĂŒre, geht auch die gelĂ€ufig als postmarxistisch bezeichnete Strömung der Wertkritiker an das âKapitalâ heran. Dieser Ansatz entstand in den Achtziger Jahren und ist als Denkfortsatz der Frankfurter Schule und der Neuen Marx-LektĂŒre zu verstehen bzw. von diesen nicht abzutrennen. Einer der wichtigsten Vertreter hier ist Robert Kurz, der die Gruppe Krisis 1986 mitgrĂŒndete. Ein weiterer, in der so genannten Radikalen Linken einflussreicher Autor, der zwar nicht in organisatorischer Hinsicht, aber inhaltlich der Wertkritik nahesteht, ist Michael Heinrich. Mit der Konzentration auf die so genannte Werttheorie und rekurrierend auf das Hegelsche VerstĂ€ndnis von Dialektik gelangten diese AnsĂ€tze zum Ergebnis, dass UnzulĂ€nglichkeiten in der Marxschen Dialektik bestĂŒnden. Im Kapital wĂŒrde man auf ein reduktionistisches VerstĂ€ndnis von Dialektik stoĂen. Diese, so analysiert es Dieter Wolf in seiner Kritik an dieser Denkrichtung, wĂŒrden Marx einen âAnwendungsmechanismusâ vorwerfen. Dialektik als Ontologie wĂŒrde, so die Kritik, von ihnen in Frage gestellt. Kritik wurde und wird an diesem Ansatz, die Dialektik vor allem als Denkmethode zu verstehen, auch von Wolfgang Fritz Haug, Karl Reitter und Gerhard Hanloser formuliert. Kritisiert wird hauptsĂ€chlich, dass Marx Methode auf eine abstrakte Begriffslogik reduziert werde und somit enthistorisiert. Welchen Begriff von Dialektik die Kritiker der wertkritischen Schule oder der Neuen Marx-LektĂŒre selbst haben, mĂŒssen wir uns noch erarbeiten. Das wollen wir in unserer Offenen Werkstatt unter dem Stichwort [[Untersuchung#Aktuelle Debatten|Aktuelle Debatten]] tun. === Abwendung von Hegel === Die Schule des Analytischen Marxismus war vor allem im englischsprachigen Raum in den 80er Jahren aktiv. Bezeichnend fĂŒr diese Denkrichtung ist es, dass sie die Dialektik ablehnt und danach strebt, den Marxschen Ansatz von Hegel loszulösen. Im deutschen Sprachraum ist vor allem Ulrich Steinvorth zu nennen, der sich explizit aus analytischer Perspektive mit der Marxschen Dialektik auseinandergesetzt hat. Wie relevant der Dissens mit diesem Ansatz tatsĂ€chlich ist, können wir zurzeit nicht beurteilen. Klar ist aber, dass die Analystische Philosophie innerhalb der bĂŒrgerlichen Akademie vorherrschend ist und demzufolge fĂŒr das gesellschaftliche Bewusstsein als relevant einzustufen ist. Als Reaktion und in Abgrenzung zum Analytischen Marxismus stellt Christoper J. Arthur die so genannte Homologiethese auf und meint, dass das DialektikverstĂ€ndnis von Karl Marx dem Hegels gleiche, aber eine andere ontologische Ebene betreffe.
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