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===Den bürgerlichen Staat erobern und zum Instrument der Arbeiterklasse machen=== Wer davon ausgeht, dass der bürgerliche Staat ein "klassenneutrales Instrument" ist (siehe dazu: [[Der Klassencharakter des bürgerlichen Staats]]), der wird aus diesen Annahmen entsprechende strategische Konsequenzen ziehen. Der Staat muss aus dieser Sicht nicht zerschlagen und durch die "Diktatur des Proletariats" ersetzt werden, sondern kann auf friedlichem und demokratischem Wege erobert und dann als Werkzeug in den Händen der Arbeiterklasse für die umfassende Reformierung oder Abschaffung des Kapitalismus und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden. In der Regel ist damit auch die Vorstellung verbunden, es sei möglich durch groß angelegte Verstaatlichungen der Wirtschaft mit Hilfe des bürgerlichen Staatsapparats Schritte in Richtung Sozialismus einzuleiten. Auf Grundlage dieser Annahmen vertreten zahlreiche Akteure eine Reihe unterschiedlicher Szenarien: '''Klassischer Revisionismus (Bernstein/Kautsky):''' Zu den wichtigsten Vertretern einer Strategie, die darauf orientiert, den bürgerlichen Staat zu übernehmen und ihn als Instrument der Arbeiterklasse zu nutzen, gehörten die Wortführer des klassischen Revisionismus, zunächst Eduard Bernstein, später aber auch Karl Kautsky. Nach Marx Tod kritisierte Engels noch im hohen Alter das von Karl Kautsky und Eduard Bernstein geschriebene ''Erfurter Programm'' (1891), das aus seiner Sicht in zentralen Punkten hinter die wesentlichen Erkenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus zurückfiel. Dort wurde aus Furcht vor Repressalien das entscheidende in der Staatsfrage nicht gesagt. Stattdessen sollte plötzlich alles auf „friedlichem Wege“ durchführbar sein. Engels betonte dagegen, dass sowohl in der Monarchie als auch in der Republik der Staat eine „Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andre“ ist.<ref>Lenin, Wladimir I.: Die Lehre des Marxismus vom Staat und die Aufgaben des Proletariats in der Revolution, Berlin/DDR 1974, S.467.</ref> Karl Kautsky gehörte selbst zu den Gegnern Bernsteins. Seine Kritik an diesem fiel zwar verbal hart aus, schonte ihn aber besonders in der Staatsfrage. Kautsky, der zuvor Revolutionär gewesen war und entscheidend zur Verbreitung des Marxismus beigetragen hatte, vermied eine schonungslose Kritik an Bernstein. In seinem Buch ''Bernstein und das sozialdemokratische Programm'' (1899) wurde seine Tendenz zum Opportunismus gerade in der Frage des Staates deutlich. Keine Erwähnung findet bei Kautsky die entscheidende Marxsche Aussage, die bereits von Bernstein bestritten wurde, nämlich dass der Staatsapparat zerschlagen werden muss. Das gipfelt in dem Satz: „Die Entscheidung über das Problem der proletarischen Diktatur können wir wohl ganz ruhig der Zukunft überlassen.“ <ref>Zitiert in: Lenin, Wladimir I.: Staat und Revolution. Die Lehre des Marxismus vom Staat und die Aufgaben des Proletariats in der Revolution, Berlin/DDR 1974, S. 493.</ref> In seinen Broschüren ''Die soziale Revolution'' (1902) und in ''Der Weg zur Macht'' (1909) ist überall von der „Eroberung der Staatsgewalt“ die Rede. Auch diese Formulierung lässt bewusst die Interpretation zu, dass damit die Eroberung der Macht ohne Zerstörung der Staatsmaschine gemeint ist. In dem Artikel ''Die neue Taktik'' (1912) sagt Kautsky schließlich offen, dass die Aufgabe des Massenstreiks nicht die sein kann, die Staatsgewalt zu zerstören, „sondern nur die, eine Regierung zur Nachgiebigkeit in einer bestimmten Frage zu bringen oder eine dem Proletariat feindselige Regierung durch eine ihm entgegenkommende zu ersetzen.“ Der Sieg des Proletariats könne aber nie „zu einer Zerstörung der Staatsgewalt, sondern stets nur zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse innerhalb der Staatsgewalt führen. […] Und das Ziel unseres politischen Kampfes bleibt dabei das gleiche, das es bisher gewesen: Eroberung der Staatsgewalt durch Gewinnung der Mehrheit im Parlament und Erhebung des Parlaments zum Herrn der Regierung.“<ref>Zitiert in: Ebd., S.504.</ref> Lenin schlussfolgerte in seiner Abrechnung mit der alten Sozialdemokratie der Zweiten Internationale: „Wir aber werden mit diesen Verrätern am Sozialismus endgültig brechen und werden für die Zerstörung der ganzen alten Staatsmaschinerie kämpfen, auf dass das bewaffnete Proletariat selbst die Regierung sei. Das sind zwei grundverschiedene Dinge.“ <ref>Ebd., S.505.</ref> 1914 stand Kautsky schließlich auf der Seite der Kriegsbefürworter Noske, Ebert, Scheidemann. Rosa Luxemburg stellte im Gegensatz zu Kautsky in ihrer scharfen Polemik gegen Bernstein (''Sozialreform oder Revolution'', 1899) die Staats- und Machtfrage von Anfang an ins Zentrum ihrer Kritik: "Es ist grundfalsch und ganz ungeschichtlich, sich die gesetzliche Reformarbeit bloß als die in die Breite gezogene Revolution und die Revolution als die zusammengedrängte Reform vorzustellen. Eine soziale Umwälzung und eine gesetzliche Reform sind nicht durch die Zeitdauer, sondern durch das Wesen verschiedene Momente. Das ganze Geheimnis der geschichtlichen Umwälzungen durch den Gebrauch der politischen Macht liegt ja gerade in dem Umschlage der bloßen quantitativen Veränderungen in eine neue Qualität, konkret gesprochen in dem Übergange einer Geschichtsperiode, einer Gesellschaftsordnung in eine andere. Wer sich daher für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß unwesentliche Veränderungen in der alten."<ref>Luxemburg, Rosa: Sozialreform oder Revolution, Gesammelte Werke Bd.1, S.428f.</ref> '''Verstaatlichung als Weg zum Sozialismus (Owen/Lasalle):''' Die Idee eines friedlichen und demokratischen Übergangs zum Sozialismus durch allmähliche Verstaatlichung aller Produktionsmittel durch den (bürgerlichen) Staat ist fast so alt wie die Arbeiterbewegung selbst. Als erster entwickelte und propagierte der britische Frühsozialist Robert Owen (1771-1858) diese Vorstellung. Owen war selbst Kapitalist und Fabrikbesitzer, kritisierte aber die unmenschlichen und irrationalen Auswüchse, die diese Produktionsweise mit sich brachte. Eine mögliche Lösung sah Owen darin, die Fabriken in Genossenschaftseigentum zu überführen und sie so der Kontrolle aller in der Fabrik beschäftigten Arbeiter zu übergeben. Um diese genossenschaftlichen Musterfabriken in der Krise vor der Pleite zu bewahren, sollte der Staat durch Subventionen, Verstaatlichungen und andere Eingriffe auf lange Sicht dafür sorgen, dass sich das Genossenschaftsmodell gegen die privatkapitalistischen Unternehmen durchsetzt. Früher oder später sollte sich auf diesem Weg ein „Genossenschaftssozialismus“ – auf der Grundlage von Staats- und Genossenschaftseigentum, aber ohne zentrale Planung – als vorherrschende Produktionsweise etablieren. <ref> Vgl. Wolfgang Abendroth, Einführung in die Geschichte der Arbeiterbewegung von den Anfängen bis 1933, Heilbronn 1988, S. 35. </ref> Eine fast identische Auffassung gewann in den 1860er Jahren durch Ferdinand Lassalle (1825-1864) zunehmend Einfluss in der deutschen Arbeiterbewegung. Auch Lasalle wollte die sozialistische Gesellschaft über Produktionsgenossenschaften und Staatshilfen erreichen. Mit Blick auf die Rolle des Staates griff er auf die idealistischen Standpunkte von Fichte und Hegel zurück und ging von einer über den Klassen stehenden „Staatsidee“ und einem sich in der Geschichte immer weiter verselbständigen Staat aus. Der wichtigste Kampf der Arbeiterklasse, so Lasalles Einschätzung, würde nicht auf ökonomischem, sondern nur auf politischem Gebiet geführt werden und habe die „Demokratisierung“ des bürgerlichen Staates zum Ziel - dann würde dieser unweigerlich zum Vertreter der Interesse der größten Klasse, also des Proletariats. <ref> Vgl. Abendroth, Geschichte der Arbeiterbewegung, S. 88-93. </ref> Heutige Vertreter dieser Position, zum Beispiel die Kommunistische Partei Portugals (PCP), gehen davon aus, dass durch die Verstaatlichung wichtiger Unternehmen ein "sozialistischer Sektor" innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft geschaffen werden könne (vgl. Programm der PCP). Alle Varianten dieser Genossenschafts- und Verstaatlichungsstrategie setzen einen „wirklich demokratischen“ Staat voraus, der das Allgemeinwohl der Gesellschaft zu verwirklichen sucht – letztlich also einen klassenneutralen Staat. Durch die Erkämpfung des allgemeinen Wahlrechts durch die Arbeiterbewegung sollte diese in die Lage versetzt werden, die Staatsmacht zu übernehmen und den friedlichen Weg in Richtung Genossenschaftssozialismus einzuschlagen. Der bürgerliche Staat sollte dabei von den Arbeitern nicht zerschlagen, sondern als Werkzeug für die Umsetzung ihrer sozialistischen Ziele auf demokratischem Weg erobert werden. '''"Antimonopolistische Strategie" (DKP):''' Die Strategie der DKP geht davon aus, dass der bürgerliche Staat im staatsmonopolistischem Kapitalismus als alleiniges Herrschaftsinstrument der Monopolbourgeoisie fungiert (siehe Dissens [[Der Klassencharakter des bürgerlichen Staats]]). Das ermöglicht die Formierung eines breiten "antimonopolistischen Bündnisses", dass in Reformkämpfen die Macht der Monopole allmählich zurückzudrängen vermag. Dadurch soll schließlich eine "Wende zu sozialem und demokratischen Fortschritt" eingeleitet werden. Im Einleitungsreferat von Willi Gerns auf dem Mannheimer Parteitag von 1978 ist diese Etappen-Vorstellung ausführlich dargelegt: "Was unsere Zielsetzung einer Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt angeht, so handelt es sich um eine Orientierung für die unmittelbar vor uns liegende Periode. Dabei geht es darum, die Versuche des Großkapitals, einen reaktionären Ausweg aus der Krise zu finden, zu durchkreuzen, die sozialen und demokratischen Errungenschaften des arbeitenden Volkes sowie die Ergebnisse der Entspannungspolitik zu verteidigen und den aktiven Kampf für ihre Erweiterung zu führen. […] Die in der Orientierung auf eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt gestellten Aufgaben gehen noch nicht über den Kapitalismus hinaus. Sie bleiben noch im Rahmen der alten Gesellschaft. Innerhalb dieses Rahmens schränken sie die Macht der Monopole ein und verbessern so die Positionen der Arbeiterklasse und der anderen antimonopolistischen Kräfte. Zu grundlegenderen Veränderungen kommt es, wenn – wie wir das für möglich und erstrebenswert halten – der Kampf um eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt in eine antimonopolistische Demokratie einmündet. Auch sie stellt allerdings noch keine neue Gesellschaftsordnung dar. Vielmehr handelt es sich um eine, ausgehend von den heutigen Bedingungen des Klassenkampfes in einem hochentwickelten kapitalistischen Land wie der Bundesrepublik, mögliche Form der Einleitung des revolutionären Prozesses des Übergangs von der alten zur neuen Ordnung."<ref>DKP Parteivorstand, Protokoll des Mannheimer Parteitags der Deutschen Kommunistischen Partei, 1978, S. 188.</ref> Mit dieser Vorstellung ist auch die Beteiligung der Kommunisten an der bürgerlichen Regierung verbunden, wie sie im Programm der DKP von 2006 beschrieben wird: "Dieser Kampf [um eine Wende zu sozialem und demokratischem Fortschritt] kann in antimonopolistische Übergänge einmünden. Voraussetzung dafür ist, dass der antimonopolistische Block über so viel außerparlamentarische Kraft und parlamentarischen Einfluss verfügt, dass er eine die gemeinsamen Interessen vertretende Regierung bilden kann. Gestützt auf starke außerparlamentarische Bewegungen, die Organisationen der Arbeiterbewegung und den Aufbau einer neuen demokratischen Macht können tiefgreifende politische und ökonomische Umgestaltungen eingeleitet werden, in deren Ergebnis die Macht des Monopolkapitals gebrochen wird. Die DKP ist stets davon ausgegangen, dass die antimonopolistische und die sozialistische Umwälzung miteinander verbundene Entwicklungsstadien in dem einheitlichen revolutionären Prozess des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus sind. Antimonopolistische Umwälzung bedeutet eine Periode des revolutionären Kampfes, in der noch Elemente des Kapitalismus und schon Keimformen des Sozialismus vorhanden sind. Zunächst werden noch die Elemente des Alten überwiegen, im Klassenkampf aber werden mehr und mehr die Wesenselemente der neuen Gesellschaft das Übergewicht erlangen müssen, wenn es der Konterrevolution nicht gelingen soll, den revolutionären Prozess zu ersticken." <ref>DKP-Programm 2006, Abschnitt „unser Weg zum Sozialismus“</ref> Zu den beschriebenen "antimonopolistischen Umwälzungen" gehört auch die Verstaatlichung der wichtigsten Produktionsmittel mit Hilfe des eroberten bürgerlichen Staatsapparats: "Der wesentliche Schritt muss die Überführung der Banken und Versicherungskonzerne sowie der produktions- und marktbeherrschenden Konzerne in anderen strategischen Wirtschaftsbereichen in demokratisch kontrolliertes öffentliches Eigentum sein." <ref>Programm der DKP (2006), Abschnitt: Für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt.</ref> Die Antimonopolistische Strategie beruht also auf der Grundannahme, dass der bürgerliche Staatsapparat, der im Monopolkapitalismus zunächst als das alleinige Machtinstrument der Monopole charakterisiert wird, durch eine „antimonopolistische Regierung“ unter die Kontrolle der Arbeiterklasse und deren Bündnispartner gebracht und als Instrument verwendet werden kann, um die Macht eben dieser Monopole zu brechen und sie schrittweise zu enteignen. Zwar finden sich im Programm der DKP auch Formulierungen, die von der Notwendigkeit einer "revolutionären Überwindung" des Kapitalismus ausgehen (S. 28), die Strategie der DKP orientiert jedoch eindeutig auf eine demokratische und legale Übernahme des bürgerlichen Staatsapparates, nicht auf dessen Zerschlagung. '''Eurokommunismus:''' Zu den wichtigsten Vertretern einer Theorie des "friedlichen Übergangs" gehörten in Westeuropa ab den 1970er jahren die sogenannten "Eurokommunisten", hauptsächlich vertreten durch die kommunistischen Parteien Frankreichs (PCF), Italiens (PCI) und Spaniens (PCE). Die Strategie der Eurokommunisten ging nicht nur davon aus, dass der bürgerliche Staat und seine Institutionen nicht zerschlagen werden müssten, sondern dass die bürgerliche Demokratie sogar in ihrer konkreten Organisationsform bruchlos in den Sozialismus übertragen werden könne. Das "sowjetische Revolutionsmodell" und die Theorie der "Diktatur des Proletariats" wurde von den Eurokommunisten explizit verworfen. Bis heute ist diese Theorietradition besonders in den reihen der kommunistischen Partei Portugals (PCP) und der PCF vertreten. Ausführlicher Text: [[Eurokommunistische Staatsauffassung]] '''"Demokratischer Sozialismus" (Linkspartei/PDS):''' Innerhalb der deutschen Sozialdemokratie gibt es verschiedene Kräfte, die zumindest theoretisch für sich in Anspruch nehmen, einen „demokratischen Sozialismus“ zu vertreten, der von allen angeblichen Mängeln und Deformationen des sowjetischen Sozialismus frei sein soll. Dahinter verbirgt sich in der Regel die Vorstellung der Möglichkeit eines „dritten Wegs“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus oder eines reformierten "Kapitalismus mit menschlichem Antlitz“. Diese Strömungen gehen zumindest implizit von einer Klassenneutralität, nicht nur des bürgerlichen, sondern auch des sozialistischen Staats aus, der in dieser Vorstellung nur eine reformierte Variante des bürgerlichen Staats ist. Verbreitung fand der Ausdruck „demokratischer Sozialismus“ ab etwa 1920 infolge der Spaltung der europäischen Arbeiterbewegung. Mit dem Begriff grenzte sich die Sozialdemokratie von den Kommunisten ab, die ihrerseits am Begriff der „Diktatur des Proletariats“ festhielten und die Sowjetunion verteidigten. Seitdem haben sowohl sozialdemokratische und sozialistische als auch „kommunistische“ Gruppen, Parteien und Regierungen unterschiedliche Politiken als „demokratischen Sozialismus“ bezeichnet. Der Ausdruck wurde seit etwa 1970 im „Reformkommunismus“ Osteuropas, im westeuropäischen "Eurokommunismus" sowie 1989 von Teilen der DDR-Opposition verwendet. Nach 1989 wurde der „demokratische Sozialismus“ zum Leitbegriff der PDS, heute der Linkspartei. In ihrem Programm (2011) leitet die Linkspartei zunächst die Notwendigkeit eines „demokratischen Sozialismus“ aus dem Scheitern der Sowjetunion und des sozialistischen Lagers her: "Der erste große Versuch im 20. Jahrhundert, eine nichtkapitalistische Ordnung aufzubauen, ist an mangelnder Demokratie, Überzentralisation und ökonomischer Ineffizienz gescheitert. Unter Pervertierung der sozialistischen Idee wurden Verbrechen begangen. Dies verpflichtet uns, unser Verständnis von Sozialismus neu zu bestimmen. Wir wollen einen demokratischen Sozialismus, der den gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen und Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts gerecht wird." (Programm der Partei DIE LINKE, S. 27)<ref> URL: https://www.die-linke.de/fileadmin/download/grundsatzdokumente/programm_formate/programm_der_partei_die_linke_erfurt2011.pdf (10.1.2019)</ref> In den folgenden Passagen wird aber klar, dass die Linkspartei anstatt von der Zerschlagung des Staats als Voraussetzung für den Aufbau des Sozialismus explizit von einer Kontinuität der bürgerlichen Staatlichkeit und ihrer Organe ausgeht: "Die Überwindung der Dominanz kapitalistischen Eigentums in der Wirtschaft und ein sozialer Rechtsstaat sind dafür die wichtigsten Grundlagen. Alle Menschen sollen am Reichtum teilhaben können. Der sozial gleiche Zugang jedes Menschen zu den Bedingungen eines freien Lebens und die Demokratisierung aller Lebensbereiche gehören zusammen. Sozialismus und Demokratie sind untrennbar. […] Wir wollen, dass Rechtsstaat und Sozialstaat eine Einheit bilden, und streiten für eine weltweite Ordnung, die durch Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit geprägt ist. So kann ein gutes Leben gestaltet, eine soziale Demokratie hergestellt und erweitert werden." (S. 27.) Es geht also nicht mehr um die Abschaffung, sondern nur noch um die „Überwindung der Dominanz“ des kapitalistischen Privateigentums an den Produktionsmitteln – gemeint ist vermutlich eine allmähliche Verstaatlichung im Rahmen einer irgendwie gearteten kapitalistischen Mischwirtschaft, kombiniert mit sozialstaatlichen Mechanismen der Reichtumsumverteilung. Wichtigstes Merkmal des „demokratisch-sozialistischen“ Staats ist aus dieser Sicht nicht etwa sein Klassencharakter als Staat der Arbeiterklasse, sondern dass er formal die Formen der liberalen Demokratie und des bürgerlichen „Rechtsstaates“ einhält. Dies setzt nicht nur bestimmte Vorstellungen über die Reformierbarkeit und Klassenneutralität des bürgerlichen Staats voraus, sondern unterstellt letztlich auch, der sozialistische Staat müsse ebenfalls klassenneutral sein, also für einen „pluralistischen“ und „demokratischen“ Ausgleich zwischen den nach wie vor existierenden Klasseninteressen sorgen. Der Weg zu diesem „demokratischen Sozialismus“ führt über eine allmähliche „Transformation“ im Rahmen der bürgerlichen Staatlichkeit und Legalität: „DIE LINKE kämpft in einem großen transformatorischen Prozess gesellschaftlicher Umgestaltung für den demokratischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Dieser Prozess wird von vielen kleinen und großen Reformschritten, von Brüchen und Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe gekennzeichnet sein.“<ref> Programm der Partei DIE LINKE (2011), S. 27 und 29.</ref> Damit wird der Unterschied zwischen bürgerlichem und sozialistischem Staat zu einer rein graduellen Differenz, die sich daran bemisst, wie weit das politische Kräfteverhältnis bereits in Richtung Sozialismus verschoben ist und wie viele Reformen bereits umgesetzt wurden. (Vgl. dazu die Position des "klassischen Revisionismus", s.o.) '''"Demokratischer Sozialismus" im Programm der SPD:''' Die SPD versteht unter „demokratischem Sozialismus“ seit dem Godesberger Programm (1959) „soziale Marktwirtschaft“ mit „gerechter Verteilung“ von Gewinnen, die gleiche Lebenschancen eröffnen soll. Nach dem Politikwissenschaftler Thomas Meyer (SPDler mit Nähe zur Frankfurter Schule) vertreten alle Theorien eines demokratischen Sozialismus ein „egalitäres Gerechtigkeitskonzept", bejahen den „demokratischen Rechtsstaat“, streben sozialstaatliche Sicherungen aller Bürger an, wollen das Privateigentum „sozialverträglich“ begrenzen und den Wirtschaftssektor „gesellschaftlich einbinden“ und „politisch regulieren“. In ihrem Hamburger Programm (2007) schreibt die SPD: „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist. Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie.“<ref>Hamburger Programm der SPD (2007), URL: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Grundsatzprogramme/hamburger_programm.pdf (10.1.2019)</ref> Die SPD meint mit "demokratischem Sozialismus" also nichts anderes, als eine bestimmte Spielart des Kapitalismus. Er kann aus dieser Sicht durch Reformen erreicht werden und setzt nicht nur keinerlei Bruch mit dem bestehenden bürgerlichen Staat voraus, sondern hat diesen sogar zur Existenzbedingung. '''Andere Vertreter:''' Es gibt so viele Vertreter einer [[Strategie der Übergänge]], dass hier nur einige wenige Beispiel aufgezeigt werden konnten. Einen wichtigen historischen Bezugspunkt, nicht nur für die Anhänger des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" in Lateinamerika, sondern auch für viele andere Linke, bildet die Chilenische ''Unidad Popular'' unter Führung von Salvador Allende, dessen Versuch eines friedlichen Übergangs zum Sozialismus 1973 durch einen Militärputsch blutig beendet wurde.
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